archivierte Ausgabe 1/2014
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Regina Ammicht Quinn |
Überlegungen zum Scheitern von Integration |
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Warum scheitert Integration – das Leben in heterogenen, vor allem westlichen Gesellschaften – so häufig? Dieser Text fragt zum einen nach der Blindheit und Taubheit, die der westlichen Politik zugrunde liegt – der Blindheit gegenüber postkolonialer Kritik und der Taubheit gegenüber den Geschichten, aus denen „Geschichte“ besteht –; zum anderen nach dem Konzept von „Kultur“, das sich in einer Neubestimmung von „Rasse“ als „Kultur“ zeigt. Hier wird deutlich, wie das europäische Aufklärungsdenken einerseits den Boden für Vorstellungen und soziale Praktiken des Universalismus und der Gerechtigkeit bereitet hat und unser moralisches Instrumentarium bis heute prägt. Andererseits hat die europäische Aufklärung das Konzept der Rasse hervorgebracht, das kontinuierlich Ungerechtigkeiten produziert. Heute ist es unsere Aufgabe, uns mit dieser ambivalenten Grundlegung des (moralischen) Denkens auseinanderzusetzen. Es ist ein Denken vor allem der westlichen Vernunft, die es Wissenschaft und Gesellschaft ermöglicht, zu kategorisieren, zu sortieren, einzusortieren – und auszusortieren. Worin liegen die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure in Politik, in Gesellschaften, in Wissenschaft und in den Religionen?
Wir sind heute Erbinnen und Erben einer 7000-jährigen Geschichte, in der Menschen in unserem Kulturkreis in festen Ansiedlungen lebten – von den ersten sesshaften Vorfahren in der Jungsteinzeit bis heute. In Jordanien und um den See Gennesaret herum deuten archäologische Funde auf sehr viel frühere Sesshaftigkeit, nämlich um 20.000 v. Chr. Für die längste Zeit dieser Geschichte wurden Menschen in kleine Gemeinschaften hineingeboren. Essen, Kleidung, Werkzeuge, Kunst und Instrumente für Sakrales wurden innerhalb dieser Gruppe hergestellt. Wissen, Kenntnisse, Weisheiten kamen von den Vorfahren oder aus der eigenen Erfahrung. Die Menschen, denen sie an einem normalen Tag begegneten, sind die Menschen, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt haben.
Eine solche Welt hat uns geprägt. Und in einer Welt, die nicht sehr verschieden davon war, hat meine Großmutter noch in der ersten Hälfte ihres Lebens gelebt. Wenn wir heute irgendwo auf der Welt in einer Stadt leben, dann sehen wir an einem durchschnittlichen Tag mehr Menschen, als unsere Vorfahren während ihres ganzen Lebens sahen. Und die meisten dieser Menschen sind uns fremd.
Menschen heute sind unterwegs: Sie sind Asylsuchende oder Flüchtlinge; sie sind Arbeitsmigrant_innen, die zwischen verschiedenen Menschen, Leben, Orten, Sprachen und Kontexten hin- und herpendeln; Menschen flüchten vor Gewalt oder Diskriminierung; sie folgen ihren Familien, die sich vielleicht in einem anderen Teil der Welt niedergelassen haben; sie kommen, um zu lernen oder zu unterrichten; sie versuchen, wirtschaftlicher Not zu entfliehen; oder sie reagieren auf den Bedarf der Einwanderungsländer an Arbeitskräften und bestimmten Qualifikationen. Wenn wir die Binnenmigration dazurechnen – also die Landflucht oder die Vertreibung aufgrund von Konflikten –, dann ist ein Sechstel der Menschheit unterwegs, also über eine Milliarde Menschen. Der Beitrag, den sie zum Leben ihrer Familien oder Herkunftsländer leisten, ist dreimal so hoch wie die weltweite Entwicklungshilfe.
Sobald sie aber besonders in den wirtschaftlich prosperierenden Gastländern des Nordens an Land gehen oder die Grenze passieren, gelten sie als „Problem”. Ein anderes oder niedrigeres Bildungsniveau, Sprachprobleme, eine vermeintliche Distanz zu „christlichen” oder „aufklärerischen” Werten (wie etwa Nächstenliebe oder Meinungsfreiheit) oder fremde Gebräuche und Traditionen werden zu Bausteinen, aus denen „der Fremde” als „Problem” konstruiert wird.
Und natürlich sind mit Einwanderung und Integration eine Fülle von Problemen verbunden. Diese Probleme reichen von Armut, Ungleichheit und mangelnder Teilhabe bis hin zum Nationalstaat, der nicht nur das Referenzsystem für politisches und soziopolitisches Handeln bildet, sondern auch für Identität, Selbstbild und Selbstverständnis. Wenn dies alles darauf reduziert wird, Menschen in bestimmten Situationen und Kontexten als Problem zu definieren, laufen mögliche „Lösungen” notwendig ins Leere. [...]
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